Nachhaltige Quartiersplanung

Eine Arbeit aus dem Modul "Energiewende im Bauwesen begleiten" aus den Fachgebieten Bauingenieurwesen und Bauwirtschaftsingenieurwesen an der Jade Hochschule am Standort Oldenburg im Wintersemester 2021/2022 unter der Leitung von Prof. Dr. Kirsten Plog.

Überseestadt Bremen - Versiegelung reduzieren, Klima“gerechtes“ Agieren und Transformieren.

In der Überseestadt in Bremen besteht ein Risiko für Überflutung bei Starkregenereignissen und Überschwemmungen durch Hochwasser sowie eine Kombination beider Szenarien. Daher ist es Ziel, Klimaanpassungsmaßnahmen und Klimaschutzmaßnahmen zu koppeln und Lösungen vorzuschlagen, wie diese Risiken verringert werden können. Das Hauptaugenmerk lag auf der Analyse des Gebietes – was kann man wo verändern und verbessern? Es geht dabei um klimaangepasstes Bauen und Sanieren.

Die Beiträge von fünf KursteilnehmerInnen (L. Mawick, J. Meier, L. Müller, M. Rühe-Müller, H. Saathoff) geben detailliertere Hinweise, Impulse und Ideen, ergänzt durch Fotos und Beispiele. Die Beiträge ergänzen sich sinnvoll, es werden Synergieeffekte erzielt und damit die Komplexität der Aufgabe erfasst und berücksichtigt.

Die Lösungsvorschläge bieten zahlreiche praktikable Anregungen, wie an  Klimaanpassungsmaßnahmen und Klimaschutzmaßnahmen auch noch nachträglich in einem Gebiet realisieren kann.

 

1. Überzeugungsarbeit

Die Kosten und der Aufwand der baulichen Veränderungen sind zu berücksichtigen, so dass in unserem Kurs bzw. Modul eine Auswahl getroffen wurde, welche Maßnahmen realistisch und realisierbar sein
könnten. Zur besseren Argumentation kann eine Entscheidungsmatrix (Finanz-/Menschenorientierung) dienen, um mit zuständigen Behörden und Investoren eine Einigung zu erzielen. Des Weiteren ist es wichtig, Anreize zu schaffen, Konsequenzen (und Risikofolgekosten) darzulegen, Einwände qualifiziert zu behandeln sowie Vorwände zu entkräften. Dabei ist es ein vorrangiges Ziel, konkrete und umsetzbare Alternativen  aufzuzeigen und abzuwägen. Ein wichtiger Schritt ist außerdem, die Genehmigungsverfahren und deren zeitlichen Aufwand und die umfangreichen, zeitaufwendigen Verhandlungen mit Behörden bei der Transformation einzuplanen. Meilensteine und Strategien sind hier ebenso hilfreich wie ein langer Atem, Frustrationstoleranz und Geduld.

2. Beton-Alternativen

Da Beton in der derzeitigen baulichen Verwendung einen enormen Ressourcenverbrauch mit hohen Energiekosten und CO2 Ausstoß generiert, wurde im Modul überlegt, wie man durch eine „Mischkalkulation“ in der Verwendung der Baustoffe bzw. –materialien eine Art Schadensbegrenzung erreichen könnte. Ein Augenmerk wurde dabei auf den Holzständerbau gelegt, aber auch andere Materialien, z.B. Hanf oder Lehm (auch im Innenausbau) wurden ebenfalls in Erwägung gezogen. Hanfkalk, Carbonbeton, Betonrecycling, CO2 Verbrauch bei der Betonherstellung, Kompensation durch ökologische Dämmungen statt WDVS waren dabei wichtige Ideen in diesem Kontext. Ein weiterer, späterer Schritt, läge darin, die CO2 Einsparungen zu errechnen.

3. Versiegelung aufbrechen. Schwammstadt - Gründächer und Grünfassaden - mehr Grünanlagen

Welche Areale ließen sich (nachträglich) verändern? Hier war es Ziel, Beispielgebiete und –lösungen zu entwickeln, die auch von den Nutzern und Bewohnern des Areals akzeptiert und befürwortet werden.
Dabei ging es zum Einen um Ausgleichsflächen und den Einbezug von Erkenntnissen aus der Siedlungs-/Wasserwirtschaft, bspw. um Versickerungsmöglichkeiten um Gebäude herum und eine Flächenanalyse, wo Überflutungsschutz, Schutz bei Starkregen erforderlich und umsetzbar ist und zum Anderen um eine einheitlichere Quartiersgestaltung durch Gründächer und Fassadenbegrünungen. Ein Nebenziel ist, die teils eher uneinheitlich „zusammengewürfelten“ Gebäude in eine bessere Harmonie zu bringen. Ein Hauptziel war es, mehr CO2 Kompensation zu ermöglichen, ein besseres Kleinklima zu erwirken und das Primärziel, die Versickerungsmöglichkeiten zu erhöhen sowie die Versiegelung zu reduzieren. Um die Bewohner und Nutzer, die sich in stark versiegelten Betonarealen zum Teil eher entgrenzt und unbeheimatet fühlen, wurde als weiterer zentraler Aspekt bedacht, wie man die Natur in das Quartier zurückbringen kann. So soll die Aufenthaltsqualität verbessert und die Lebensqualität erhöht werden, was auch im Sinne einer nachhaltigen Quartiersgestaltung und Stadtplanung ist.

Best-Practice-Modelle

Vergleiche und Impulse mit/von anderen Ländern, Gebieten, Ortschaften, Städten wurden herangezogen. Die Frage dabei: Welche Modelle könnte man in welchem Umfang transferieren? Ein Beispiel für
mehr Naturräume, ist die „essbare Stadt“ in Andernach. Aber auch die gerade in der Umsetzung befindliche Überseeinsel – am Rand der Überseestadt gelegen, ist ein solches Modell, dass unserem Kurs durch T. Kamphaus, einer Mitarbeiterin der Überseeinsel GmbH detailliert erläutert wurde.

Beiträge

Fazit und Ausblick

Die gemeinschaftliche Arbeit im Projekt hat gezeigt, dass zahlreiche Einflußfaktoren für passgenaue und zukunftsweisende Lösungen zu berücksichtigen sind.

Es ist rückwärtsgewandt, zu glauben, dass mit herkömmlicher Bauweise, herkömmlicher Denkweise oder der Fokussierung auf ein “allein-selig-machendes” Instrument, wie bspw. die Digitalisierung, alle komplexen Probleme zu bewältigen sind.

Im Gegenteil – es geht darum, der Komplexität der Problematik gerecht zu werden, indem das Denken, die Kommunikation, das Management und die fachliche Qualifizierung in Hinblick auf neue, differenziertere bauliche Lösungen ausgeweitet wird.

Dafür braucht es unter Anderem offene, vielseitig aufgestellte Ingenieure, die bereit und in der Lage sind, sich diesen multiplen Herausforderungen zu stellen. Die Suche nach neuen, passgenauen Lösungen kann dazu führen, dass Klimaschutz und Klimaanpassung tatsächlich ineinandergreifen. Dass bauliche Lösungen alle am Bau Beteiligten und die Nutzer intensiver einbeziehen – und der Mehraufwand für diesen
Changeprozess berücksichtigt wird. Dies sind große Hürden, aber auch große Chancen für zeitgemäßes und zukunftsgewandtes Bauen.

Neues wagen, aber das durchdacht und differenziert – spiegelt auch das für die Überseestadt außergewöhnliche Gebäude des Handwerkerhauses wider, sozusagen als ein “Leuchtturmprojekt” für ein ganzes Quartier.

Maßnahmenkatalog und „Checkliste“ zur nachhaltigen Quartiersgestaltung

Maßnahmen für eine insektenfreundliche Überseeinsel

  • Park- und Wiesenflächen mit blühenden, heimischen Pflanzen begrünen
  • Bushaltestellen begrünen (Dachbegrünung oder Kletterpflanzen)
  • Gleisbegrünung
  • Wegesränder und Verkehrsinseln bepflanzen
  • Gartenflächen nicht versiegeln
  • Flächen vor Gebäuden aufbrechen
  • Beete mit essbaren Pflanzen in der Stadt aufstellen
  • Vorhandene Grünflächen richtig pflegen
Line Mawick

Maßnahmen Baustoffe

  • Verwendung nachhaltiger Baustoffe bei Renovierungs- und Sanierungsarbeiten, um bereits bestehende Bauwerke ökologischer zu gestalten (Hanf, Lehm, Holz etc.)
  • Klare Ausschreibungsvorgaben für die Quartiersplanung definieren, damit vorab von der typischen Massivbauweise abgesehen werden kann
  • Schließen der Baulücken ggf. durch Grünflächen um das Leben attraktiver zu gestalten und der Versiegelung der Überseestadt entgegen zu wirken
  • Nutzen der Windverhältnisse der Überseestatd zur Stromerzeugung
Malte Rühe-Müller

Maßnahmenkatalog Starkregenschutz

  • Bei Bebauung der noch offenen Flächen nachhaltig mit Grünflächen planen
  • Auswirkungen von Hochwasser und Überschwemmungen noch gezielter in die Planung aufnehmen/ auf der sicheren Seite planen
  • Verbesserung und Veränderung der vorhandenen Grünflächen durch Versickerungssysteme (zum Beispiel Überseepark)
  • Anpassung des Verkehrskonzeptes -> mehr Raum für Grünflächen
  • Mulden an Verkehrswegen anstatt Grünstreifen
  • Versicherungsflächen schaffen, indem Parkplätze mit Rasengittersteinen oder Kies ausgestattet werden
Johannes Meier, Lennart Müller

Maßnahmen Dach-/Fassadenbegrünung

  • Ungenutzte Flächen wie Flachdächer für Begrünung nutzen
  • In die Fassadengestaltung ein gemeinsames Gestaltungselement zwischen den Gebäuden einbringen (Begrünung, gleicher Stil)
  • Grüne Akzente zur Auflockerung des Quartiers setzen
  • Artenvielfalt durch Erhaltung des Lebensraums wahren
  • Bauweise so wählen, dass nachträglich begrünt werden kann (sowohl Dach als auch Fassade)
  • Nicht nur an Kosten und Optik denken, sondern auch an die Menschen, die nachher dort wohnen/leben sollen (Wohlfühlfaktor, praktikabel?)
  • Nachhaltigen Weg zwischen Neubau und Sanierung finden und erneuerbare Energien nutzen (Solar mit Dachbegrünung lässt sich koppeln)
Hanna Saathoff